Hallo Páll. Wie kam es 1997 dazu, dass du als größter Popstar des Landes Island beim Eurovision Song Contest vertreten hast?

RÚV, der isländische Fernsehsender, hatte zur damaligen Zeit kein Geld um eine Vorentscheidung auf die Beine zu stellen. Nicht einmal eine kleine. Sie hatten schlichtweg kein Budget dafür vorgesehen. Es war sozusagen ein einziger Telefonanruf, der den Stein damals ins Rollen brachte. Die verantwortlichen Redakteure für den Eurovision Song Contest hatten wohl mitbekommen, dass ich ein riesiger Fan dieser Veranstaltung bin. Aus diesem Grund riefen sie mich an. Sie gaben mir 24 Stunden Zeit zu überlegen, ob ich es machen möchte, oder nicht. Ich rief am nächsten Tag zurück und sagte: „Ok, ich bin bereit und willens es zu tun“. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein drittes Soloalbum veröffentlicht, was außerordentlich erfolgreich war. Daher dachten sie in der Führungsetage von RUV wohl, ich wäre für die internationale Bühne wohl besonders gut geeignet.

Die Idee, deinen Auftritt inklusive Dominas in Lack und Leder zu inszenieren, stammt sie von dir, oder hatte RÚV dabei die Finger mit im Spiel?

Es war ganz allein meine Idee. Von Punkt Null an. Ich hatte auch nur unter einer Bedingung zugesagt. Dass ich die absolute und alleinige Kontrolle über Lied, Performance und Bühnengestaltung habe. Die Kostüme, Kamerabewegungen, einfach alles. „Und keinerlei Fragen von eurer Seite“. Wenn die damals gewusst hätten, was ihnen bevorsteht (lacht dreckig). Sie sagten, sie fühlten sich geehrt, dass ich diese Aufgabe übernehmen möchte. Und weißt du was? Meine Tänzerinnen waren damals und sind bis heute ganz brave Hausfrauen.

„Minn hinsti dans“ war zur damaligen Zeit kein typisches Eurovisionslied. Es war seiner Zeit voraus. Warum hast du dich damals für diesen Titel entschieden?

Wie du vielleicht weißt, hatte der Eurovision Song Contest in den 1990er Jahren nicht gerade den besten Ruf. Auch nicht bei uns auf Island. Die Zuschauerzahlen waren rückläufig, die EBU war gezwungen zu handeln. Ich hatte von meinem besten Freund Reynir, einem absoluten Kenner des ESC, erfahren, dass die Verantwortlichen der Eurovisionszentrale in Genf ein Experiment wagen wollten. Und zwar Televoting. Fünf Länder sollten, anstelle der Jurys, per Telefon abstimmen. Und genau das reizte mich. Meiner Meinung war dies ein Schritt in die richtige Richtung. Ich wusste auch, dass „Minn hinsti dans“ kein Gewinnerlied ist. Das Lied wurde dafür geschaffen, die Gemüter zu bewegen und „das Haus zu rocken“. Und das ist mir, denke ich, sehr eindrucksvoll gelungen. Ich bin mir bis heute sicher, dass wir mit „Minn hinsti dans“ einen tollen Job gemacht haben.

Singst du „Minn hinsti dans“ auch heute noch?

Ja, ich singe es immer noch auf jedem Konzert. Denn rückblickend ist „Minn hinsti dans“ das Lied, welches den typischen Páll-Óskar-Sound mitbegründet hat. Es hat diese typische hübsch-melancholische-dramatische Melodie mit einem sehr illusionistischen und futuristischen Arrangement. Mit einer schmerzvollen und herzzerbrechenden Melodie. Transformiert in diese typische Disco-Energie, die ich so sehr liebe. Meine Lieder besitzen fast alle Elemente von Disco, Techno und Dance-Musik. Diese Musik hat sozusagen meine Seele gerettet, als ich ein Teenager war. Und ich fühle in meinem Herzen, dass ich diesem Sound meinen Tribut und meine Liebe zollen muss. Das mache ich bis zum heutigen Tag. Und werde dies vermutlich bis zu meinem Lebensende tun. Es bricht mir jedes Mal das Herz und es berührt mich immer noch wie beim ersten Mal, wenn ich „Minn hinsti dans“ singe.

Wussten die Produzenten der Show in Dublin, dass du dir während deines Auftrittes in den Schritt fassen wirst? Alf Poier aus Österreich hatte dies bei seinem Auftritt 2003 in der österreichischen Vorentscheidung getan. Ihm wurde es allerdings in Riga beim Final strikt von der EBU untersagt dies zu tun. Ansonsten würde er disqualifiziert werden.

Die Produzenten hatte keine Ahnung, dass ich das tun würde. Niemand wusste das. Es war die absolute Überraschung am Finalabend während der Livesendung. Für alle. Ich habe es nie während der Proben gemacht, nur bei meinem Liveauftritt hatte ich dies in meine Performance eingebaut (lacht wieder dreckig). Das war Teil des ganzen Spaßes. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich dies heute sehe. Wirklich wahr. Es war ein sehr aufregender Moment. Ich muss immer noch darüber lachen.

Bereust du, dass du bereits 1997 und nicht später angetreten bist, weil du dadurch mehr Chancen auf eine bessere Platzierung gehabt hättest, oder bist du stolz darauf, dass du so eine Art „Revolution“ gestartet hast?

Ich bereue nichts. Keine Minute. Ich hätte es nicht anders machen wollen. Sollte ich dazu beigetragen haben eine „Revolution“ zu starten, bin ich darauf sehr stolz. Wenn „Minn hinsti danns“ sozusagen den Weg für Dana International ein Jahr später geebnet haben soll, finde ich das toll. Wenn es den Weg geebnet haben sollte für schwule, lesbische, transsexuelle Künstler, dann bin ich stolz darauf. Wenn ich es geschafft habe, diesen Künstlern einen Namen gegeben zu haben, eine Stimme, ein Gesicht, dann bin ich darauf ebenfalls sehr stolz. Denn es gibt immer noch genügend Künstler, die sich nach wie vor verstecken müssen. Die nicht so sein können, wie sie wirklich sind. Sei es dem Konsum geschuldet, oder der Politik ihrer Plattenfirma. Das war auch einer der Gründe, warum ich mich geoutet habe. Ich wollte mich nie für das, was ich bin, verstecken.

Wann hattest du dein Coming-out?

Das war mit 17 Jahren. Ich bin das jüngste von sieben Kindern. Wir sind alle Musiker in meiner Familie. Meine Eltern sind beide klassisch ausgebildete Opernsänger. Meine Schwester ist ausgebildete Sopranistin und eine richtige Operndiva. Ich bin also eher klassisch geprägt. Daher versuche ich wohl bis an mein Lebensende zwei Stile zu kombinieren. Die Klassik mit dem Discosound. Ich wusste nicht genau, was aus mir wird. Ich wusste nur, dass ich unbedingt Künstler werden möchte. Als Teenager waren meine Idole Boy George, George Michael, Elton John und die Pet Shop Boys. Deren Musik gab mir die Selbstsicherheit zu existieren. Als ich herausfand, bzw. als herauskam, dass sie alle schwul sind, George Michael wurde ja gegen seinen Willen geoutet, fühlte ich mich verarscht, hintergangen und unendlich traurig. Ich fragte mich, als ich 17 war und mich outete, wo wart ihr, als ich euch gebraucht habe? Wo wart ihr, als wir euch gebraucht haben? Ihr hattet den Ruhm, die Kraft und das Gesicht uns zu helfen. Ihr hattet solch wundervolle Möglichkeiten um gute Vorbilder für andere homosexuelle Menschen zu sein. Die zu euch aufgesehen und eurer Musik gelauscht haben. Als Teenager, wenn man spürt, dass man anders ist, braucht man solche Vorbilder. Das ist für die heutige Generation sehr viel einfacher. Alle wissen, dass Elton John und George Michael schwul sind. Junge Menschen sind auf der Suche nach Vorbildern. Nach Personen, mit denen sie sich identifizieren können. Die ihnen sagen: „Du bist nicht allein. Es gibt noch mehr Menschen, so wie dich!“. Ich wollte das anders machen. Natürlich wusste ich nicht, als ich begann Musik zu machen, dass ich einmal ein bekannter Popstar werde. Schon beim ersten Interview, das ich hier auf Island gab, habe ich mich als schwul geoutet. Ich wollte niemandem die Möglichkeit geben mich irgendwo zu „erwischen“ und mich als schwul zu outen. Ich wollte das alles selber in der Hand haben. Ich wollte diesen „Hyänen“ keine Schlagzeilen liefern. Denn das hätte etwas Beschämendes. Etwas, als wäre Schwul sein etwas Verwerfliches. Das ist es nicht. Auch aus diesem Grund habe ich am ESC 1997 teilgenommen. Um den Menschen Mut zu machen, um ihnen einfach eine Stimme zu geben. Sie war möglicherweise nicht sehr laut. Bis zum heutigen Tag kann man über den Erfolg dessen streiten. Aber ich bin stolz darauf. Bis zum heutigen Tag.

Helga Möller, eine gemeinsame Freundin von uns, meinte, dass du früher gerne die Leute geschockt hast. Stimmt das?

Ja, damit hat sie recht. Zu Beginn meiner Karriere tat ich dies, und es hat bis zum Jahr 2001 etwa angehalten. Ich habe die Menschen bewusst schockiert. Das war meine Taktik. Rückblickend betrachtet ist das typisch Ich. Dies geschah aus folgendem Grund: in den 1980er Jahren war das Thema „Homosexualität“ ein absolutes Tabu. Selbst bei uns in Island war dies mit einem großen Stigma behaftet. Als ich 1992 so richtig bekannt wurde, verbreiteten viele Menschen sehr viele hässliche Dinge und Gerüchte über mich. Und ich danke Gott heute noch dafür, dass es damals kein Internet, geschweige denn Facebook gab. Ansonsten wäre ich wohl auf dem Scheiterhaufen gelandet und bei lebendigem Leib verbrannt worden. Es hat sehr viel innere Stärke und sehr viel Kraft von mir verlangt all diese Scheiße zu ertragen. Ich wurde massiv bedroht. In den Zeitungen wurde es so dargestellt, dass verheiratete heterosexuelle Männer und Kinder vor mir Angst haben müssten. Allein meine Existenz sei eine Bedrohung für sie. Ich antwortete teilweise wirklich um andere zu schockieren und sie im Gegenzug ebenfalls zu bedrohen (lacht). Es war meine Art, all diesen ignoranten Menschen den Spiegel vorzuhalten und ihnen selber zu zeigen, wie lächerlich das Ganze ist. In den ersten fünf Jahren meiner Karriere gab ich ausschließlich schwule Interviews. Einige davon waren wirklich sehr persönlich. Ich wurde nach sexuellen Präferenzen und Praktiken gefragt. Sie waren tatsächlich an meinem Sexualleben interessiert. Ich dachte mir: „Ok, ich bin kein Sexsüchtiger. Und ich bin nicht Dr. Sommer“. Aber ich gab stets ehrliche Antworten, und dies teilweise auf sehr unverschämte Fragen. Meine Taktik war, wenn ich auf diese dreckigen Fragen antworte (lacht dreckig), dann überlegen die Menschen, die etwas im Kopf haben, wer hier schlecht behandelt wird. Wer logisch denken kann erkennt, dass ich hier das Opfer bin und massiv angegangen werde. Als Resultat lässt sich feststellen, dass dabei sehr viel Schlechtes raus kam, im Endeffekt aber sehr viel mehr Gutes.

Du hast also sozusagen deine „Macht“ dazu genutzt, um den Menschen in der Gay-Community zu helfen?

Ich habe dies, und empfinde es noch immer, als große Verantwortung empfunden. Als ich 1987 mein Coming-Out hatte waren HIV und AIDS in den Medien sehr präsent und verbreiteten Angst und Schrecken in der Schwulenszene. HIV kam zwar relativ spät nach Island, aber es kam. Wir alle waren sehr verunsichert und hatten sehr viel Angst. Das ging soweit, dass einige sich sogar davor fürchteten ihre Hände auf einer öffentlichen Toilette zu waschen. Weil niemand über das Virus Bescheid wusste. Niemand wusste irgendetwas. Deine ganzen Freunde um dich herum sterben, und du hast keine Erklärung dafür. Die Angst, die Sorge und der Schmerz führten letzen Endes dazu, dass endlich mal einer mit der Faust auf den Tisch gehauen und Informationen verlangt hat. Wie man sich davor schützen kann. Und das taten wir. Die Aktivisten der Gay-Community, mich eingeschlossen, haben „Terror“ bei Ärzten und bei den zuständigen Ministern für Gesundheit gemacht und immer wieder insistiert: „Wir wollen Informationen! Wir wollen verantwortungsvolle Informationen von verantwortlichen Personen!“. Um einfach die Angst zu stoppen. Als Person des öffentlichen Lebens hast du die Pflicht, wenn du nach diesen Antworten gefragt wirst diese auch geben zu können. Ich sah es als meine Verantwortung an diese Informationen weiter zu geben. Du kannst den Menschen, die dir zuhören, etwas Gutes tun. Aus diesem Grund habe ich wohl das ein oder andere Mal Menschen schockiert. Aber meiner Ansicht nach war das etwas Gutes.

Es war schlichtweg nötig, um „deinen“ Leuten aus der Gay-Community zu helfen.

Ja, absolut. Es war nötig. Alles Neue, mit dem du konfrontiert wirst schockt dich auf irgendeine Art und Weise. Du hast bestimmte Vorstellung, die dann aber meistens doch nicht so schlimm sind, wie man sie sich immer ausmalt. So ging es mir beispielsweise, kurz bevor ich meine Reise in den Amazonas-Dschungel antrat. Ich war unglaublich ängstlich. Das ging sogar soweit, dass ich die Befürchtung hatte, lebendig von einer Schlange, oder von einer Tarantel, gefressen zu werden. Oder gar von Kannibalen gekocht und dann auch noch als „Snack“ verkauft zu werden (lacht). Diese Vorstellung hatte ich von Südamerika. Als ich dann aber direkt mit meiner Angst konfrontiert wurde, und ich meine eigenen Vorstellungen vom Amazonas-Dschungel als Herausforderung annahm, war alles wunderschön und einzigartig. Es war eine großartige Erfahrung. Auf diese Art und Weise konnte ich sogar meine „Komfortzone“ erweitern. Ich habe mich letzten Endes sehr wohl gefühlt im Amazonas. Wenn heterosexuelle Menschen auf homosexuelle treffen ist das ähnlich. Nur (lacht)… ich muss zugeben, ich ging freiwillig in den Amazonas. Der Amazonas kam nicht zu mir. Wir Homosexuellen sind sozusagen in die heterosexuelle Welt „eingedrungen“. Wir traten in ihr Leben. Nicht sie in unseres. Wir gingen in ihre Wohnzimmer. Durch das Fernsehen, wir gaben Interviews in Magazinen und Zeitungen, hielten Paraden ab. Wir machen Theater, wir machen Musik. Popmusik ist ein sehr starkes Medium. Sie ist ein starkes und mächtiges Werkzeug. Und wenn man es korrekt benutzt, kann es ein wunderbares Werkzeug sein. Ich empfinde dies als meine Hauptaufgabe mit meinem Dasein als Popstar.

Gibt es denn noch irgendetwas für dich zu tun? Island ist, was die Rechte von Schwulen und Lesben angeht, außerordentlich fortschrittlich.

Ich denke schon, dass noch viel für mich zu tun ist. Die beste Arbeit ist noch nicht getan, ich bin sicher, das kommt erst noch. Ich denke, dass ich in den nächsten 20 bis 30 Jahren noch viel bewegen kann. Und ich bin bereits seit 25 Jahren in diesem Geschäft. Die isländische Szene hat die Größe einer Streichholzschachtel. Sie ist so winzig, dass praktisch Jeder Jeden kennt. Auch wenn wir sehr fortschrittlich sind, was die Rechte von Homosexuellen angeht, ist die Dunkelziffer der nicht geouteten schwulen Männer immer noch sehr hoch. Ich denke, dass zwischen 1500 und 2000 Männer offen schwul leben. Dagegen stehen etwa 3000 bis 4000 Männer, die sich immer noch nicht geoutet haben und sich nach wie vor verstecken. Sie führen immer noch ein Doppelleben in heterosexuellen Partnerschaften. Und dies Aufgrund der Entscheidung, die sie in den 1980er Jahren getroffen haben, als sie eine Frau geheiratet und Kinder bekommen haben. Diese Männer kommen aus ihrem Dilemma einfach nicht heraus. Sie können oder wollen nicht. Und diese Typen haben meistens Sex mit Männern, die bereits geoutet sind. Alle sind sehr verschwiegen, keiner muss befürchten gegen seinen Willen geoutet zu werden. Es ist sozusagen eine geheime Gesellschaft hier auf Island. Glaubst du, dass es mehr ungeoutete als geoutete Männer gibt bei uns? Es ist eine traurige Geschichte, die leider wahr ist. Ich kenne so ziemlich jeden Mann hier, der sich geoutet hat. Ich kenne aber auch die, die sich nicht geoutet haben. Unsere Gesellschaft ist so klein. Ich kenne ihre Namen, ich weiß, was sie tun, ich weiß, was sie arbeiten. Ich kenne sogar ihre Sozialversicherungsnummer und ihre Mütter. Sogar ein Freund meiner Mutter ist dabei. Und so lange das noch so ist, ist meine Arbeit noch nicht vollendet.

Ist es schwer oder leicht für dich andere Männer kennenzulernen?

Ich kann sagen, dass ich in meinem Leben vier Mal so richtig verliebt war. Aber ich bin immer noch Single. Schon mein ganzes Leben hier in Island bin ich Single. Denn in keinem der Fälle gab es die Möglichkeit mit diesen Männern eine richtige Beziehung aufzubauen. Entweder lebten diese im Ausland, oder die Situation erlaubte es einfach nicht. Bis zum heutigen Tag werde ich gefragt, warum ich keinen Freund habe: „Warum lebst du in keiner Beziehung? Du bist süß, erfolgreich und reich (lacht)“. Für mich ist die Antwort recht einfach. Island ist so eine kleine Gesellschaft. Selbst wenn ich in einer größeren Stadt im Ausland bin, treffe ich in der dortigen Szene immer jemanden, den ich kenne. Der süß ist, den ich mag, und der nicht total abgefuckt ist. Der keine Drogen konsumiert oder ständig Alkohol trinkt. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben Alkohol getrunken, geraucht, oder Drogen genommen. Oft lerne ich Männer kennen, die den gleichen Humor haben wie ich, der Sex großartig ist, und ich mir auch vorstellen kann mit demjenigen zusammen zu leben. Klar habe ich schon oft darüber nachgedacht, warum ich immer noch auf Island wohne. Ob ich nicht besser im Ausland leben soll. In einer anderen Umgebung, die größer und besser ist.

Gäbe es da nicht die Möglichkeit, dass dein „Traumprinz“ zu dir nach Island zieht?

Ich stelle mir sehr oft die Frage, wer denn dazu bereit wäre, mit mir hier auf Island zu leben? Wer würde in mein Haus mit einziehen? Die Situation sieht doch so aus. Ich bin sehr beschäftigt. Ich bin der gefragteste Entertainer hier in Island. Die letzten drei Tage hatte ich drei Shows in drei verschiedenen Städten. Daher bin ich heute ein wenig erschöpft. Ich habe an diesen drei Tagen wahrscheinlich mehr Geld verdient, als manch anderer in einem halben Jahr. Also warum zur Hölle soll ich von Island wegziehen? Wenn die Situation so aussieht? Warum soll ich meine Zelte abbrechen und woanders leben? Wenn du auf diesem Standard lebst, den ich mir so hart erarbeitet habe. Bei dieser, meiner, finanziellen Situation ist es nicht einfach wegzugehen. Denn je mehr Geld du verdienst, desto höher ist die Verantwortung. Auch der Gesellschaft gegenüber. Denn ich zahle ja nicht zu wenig Steuern (lacht). Daher denke ich, dass mein zukünftiger Partner importiert werden muss (lacht dreckig). Das ist die einzige Möglichkeit.

Und die isländischen Jungs? Oder fällt es ihnen schwer mit einer Gay-Ikone zusammen zu sein? Wie fühlt es sich an, so verehrt zu werden?

Ich denke, dass die meisten Angst vor mir haben. Auch, weil ich sowas von schwul und öffentlich geoutet bin. Viele die ich kenne, die süß und nett sind, die ich auch mal zum Essen ausführe oder sie mich zum Kaffee einladen, sehen mich eben als Ikone an. Und genau das ist das Problem. Die Antwort auf die Frage ist die Frage selber. Ich bin eine Ikone. Ich stehe über ihnen. Ich bin größer als sie. Das ist das, was viele denken, wenn ich sie anspreche. Auf der Gay-Pride in Reykjavik im August 2014 habe ich für die Parade einen großen Schwan kreiert. Als Hommage für das hässliche Entlein, dem berühmten Märchen von Hans Christian Andersen. Was für mich die größte homosexuelle Metapher der ganzen Welt ist. Es war eine sehr inspirierende und beeindruckende Skulptur. Ein Schwan, schwimmend in der Menschenmenge. Es waren 100.000 Menschen auf den Straßen, und ich war als Privatperson da. Ich wollte einfach nur dabei sein und Spaß haben. Ich konnte während der Parade kaum tanzen und mich bewegen. Weil mich so viele isländische Jungs angesprochen haben, die mich ganz fest umarmt haben. Sie hielten mich fest, und flüsterten in mein Ohr: „Dank! Du weißt nicht, wie viel du getan hast. Wie viel du für die Schwulen in Island getan hast. Wie viel du für mich getan hast!“. Das bringt mich jedes Mal in eine unglaublich schwierige Situation. Denn wenn ich antworte: „Ich finde dich süß und du bist auch wundervoll. Du weißt gar nicht, wie viel du für mich getan hast“, dann schrecken sie zurück und gehen. Sie gehen einfach davon. Das sind ihre Fesseln. Dann kommen die großen Zweifel in ihnen. Wahrscheinlich stellen sie sich vor, dass meine Welt zu groß für sie wäre um ein Teil davon zu sein. Das ist sehr schmerzhaft.

Das ist sehr traurig. Du bist ein so wundervoller Mensch. Das berührt mich wirklich sehr.

Das sind eben die Schattenseiten des Ruhms. Die Drag-Queen „Devine“ war in den USA in den 70er und 80er Jahren sehr bekannt und beliebt. Sie hat auch im Film „Hairspray“ mitgespielt. Devine war eine große Inspiration für viele Schwule in den 70ern. Sie hatte das gleiche Schicksal zu tragen, wie ich. Kein schwuler Mann hat sich getraut hinter die Fassade ihres Kostüms zu blicken. Der einzige, mit dem sie sich verabreden konnte, war ein schwuler Pornostar, der sich in der gleichen Situation befand. Die schwulen Männer haben beide idealisiert und sie als Ikonen betrachtet, haben alles „aufgesaugt“, was die Zwei gesagt haben. Aber angesprochen haben sie sie nicht. Das fällt mir halt auch sehr oft auf. Schwule Männer, besonders die, die sich gerade erst geoutet haben, die Frau und Kinder haben, suchen nach einem Freund, um endlich ihr neues Leben genießen zu können. Aber nicht nach einem extravaganten und extrovertierten Popstar wie ich einer bin. Sie suchen nach dem Jungen, der zu Hause auf sie wartet und ihnen das Essen kocht. Meiner Ansicht nach suchen diese Männer nach einer alternativen Version ihrer Exfrauen. Und ich bin nicht diese „Frau“. Ich bin extravagant und extrovertiert. Ich bin beschäftigt, ich bin zu aktiv und zu laut für sie. Daher ist es schwer jemanden zu finden. Deshalb müsste ich einen Jungen daten, der ebenfalls im Showbusiness ist. Aber die Kerle, die ich in der Regel attraktiv finde, sind Bauarbeiter (lacht). Das mag zwar ein Klischee sein. Aber so ist es. Was ich besonders an Bauarbeitern mag, ist die Kreativität, die hinter diesem Beruf steckt. Ich bin selber sehr aktiv und wäre der perfekte Kandidat. Weil ich es selber liebe zu bauen und zu gestalten. Mein Haus habe ich letzten Sommer ganz alleine umgebaut und renoviert. Ich habe alles raus geworfen und neu gemacht. Nur der Garten ist noch nicht so, wie ich ihn mir vorstelle. Das ist das nächste Projekt für den kommenden Sommer.

Es ist wirklich sehr beeindruckend, was du dir hier geschaffen hast.

Vielen Dank für das Kompliment. Ich liebe es mir mein eigenes Reich zu gestalten. Daher glaube ich, dass mein potenzieller Partner das mit mir teilen sollte. Das wäre mir sehr wichtig. Und ich denke, der Sinn für Humor ist essenziell. Da müssten wir auf einer Ebene sein. Und er müsste einen hohen IQ haben (lacht). Ein Junge, der einen Sinn für Ironie hat, ist gewöhnlich auch ein cleverer Typ. Und das würde gut zu mir passen.

Was tust du, wenn du nicht gerade auf der Bühne stehst? Oder dein Haus umbaust?

Wenn ich nicht singe oder performe, dann genieße ich die Kunst anderer. Ich habe eine große Filmkollektion. Ich versuche up-to-date zu sein, was die neuste Musik angeht. Derzeit arbeite ich an einem neuen Album. Ich habe bereits 15 neue Lieder komponiert, die darauf warten, dass sie einen Text bekommen. Gewöhnlich hänge ich auch sehr viel am Telefon. Ich buche meine Konzerte, arbeite Verträge aus, promote die Gigs. Gehe sicher, dass meine Tänzer pünktlich sind, dass das Licht in Ordnung ist. Gehe sicher, dass die Kostüme sauber sind. Es ist ein riesiger, wundervoller Job, den ich sehr genieße. Ich achte sehr gut auf mich und meine Körper. Drei Mal die Woche gehe ich ins Fitnessstudio und stemme Gewichte, dann mache ich noch zusätzlich drei bis vier Mal Kardio. In meinen Shows (lacht). Das ist sehr anstrengend. Ich schwitze, wie ein Schwein. Und ich bin glücklich, wenn es dazu kommt. Jeder Tag bringt etwas Neues. Ich langweile mich nie. Ich glaube, ich habe mich noch nie in meinem Leben gelangweilt. Es ist ein wundervoller Job. Es ist einfach ein wunderbares Gefühl ein Popstar zu sein. Es ist so wundervoll berühmt zu sein. Ich bin ein Perfektionist und genieße jede Minute davon.

Was hältst du von Conchita Wurst?

Ich denke, ihr Sieg war ein Meilenstein in der Geschichte des Eurovision Song Contest. Und das nicht unbedingt wegen dem Lied, oder ihrer Performance. Allein schon ihre Anwesenheit auf dieser Veranstaltung war so essenziell. Allein, wie sie diese Veranstaltung „gerockt“ hat. Und das besonders in einer Zeit, wo die Homophobie wieder auf dem Vormarsch ist und Anti-Schwulen-Aktivisten mehr und mehr wieder an Gehör bekommen.

Nicht zuletzt wegen Vladimir Putin, der die Rechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen immer mehr beschneidet.

Das stimmt. Aber er trägt nicht alleine die Schuld daran. Wenn irgendeine rückständige Regierung in irgendeinem rückständigen Land Schuldige für ihre eigenen Inkompetenzen suchen, dann müssen sehr oft die Homosexuellen dran glauben. Das passiert in letzter Zeit leider wieder viel zu oft. Wenn jemand mit seinem eigenen Leben nicht klar kommt, dann sind meistens die anderen daran schuld. Sehr oft müssen dann dafür die „Andersartigen“ herhalten. Und dafür brauchen wir immer wieder Menschen und Stimmen, die dem entgegen treten. Und Conchita Wurst ist eine dieser Stimmen. Sie macht ihre Arbeit einfach großartig.

Das machte sich auch bei der Punktevergabe bemerkbar. Dass es, nicht nur in Russland, sehr viele Menschen gibt, die sich nicht damit abfinden, dass sie unterdrückt werden. dass die Menschen sehr viel weiter sind, als die Politiker, die sie repräsentieren. Hätte alleine das Publikum entschieden, wären von Russland nach Österreich acht Punkte gegangen. Und nicht nur fünf.

Das war 1997 bei mir ähnlich. Die offiziellen Jurys in den Ländern gaben mir sehr niedrige Punkte. Von den Ländern, die per Televoting abgestimmten, bekam ich vergleichsweise hohe Wertungen. Ich habe das sogar einmal hochrechnen lassen. Hätten alle Länder per Telefon abgestimmt, dann wäre ich Sechster geworden. Aber so war ich die Nummer 20. Es gab also eine offensichtliche Diskrepanz zwischen der „traditionellen“ Jury und dem Publikum. Auch das hat mir damals schon gezeigt, dass der Großteil der Bevölkerung wirklich gay-freundlich eingestellt ist. Es ist nur eine Handvoll ignoranter, dummer Menschen, die so denken. Und die am lautesten schreien. Daher musst du auch laut zurück schreien. Das ist der beste Weg. Und das tat Conchita. Auf eine äußerst wundervolle Art und Weise. Meiner Meinung nach sind die Menschen vom Grunde ihres Herzens alle lieb und nett. Aber natürlich gibt es zwischen den guten Äpfeln auch faule Äpfel. Da muss man unheimlich drauf aufpassen, dass sich dies nicht auf die guten überträgt. Also: Wirf keinen faulen Apfel in den Korb, wirf ihn weg.

Was hältst du von der Siegerin von „Söngvakeppnin 2015“, María Ólafsdottir?

Ich muss sagen, „Söngvakeppnin 2015“ war der beste Wettbewerb seit Jahren. Und vor allem der spannendste. Ich denke, dass jedes der sieben Lieder auf seine Art und Weise gut ist. Jedes hat seine eigene Qualität. Meiner Meinung nach wurde ein neuer isländischer Popstar geboren. Es war gut, dass sie den Wettbewerb gewonnen hat, denn wir brauchen einen neuen, weiblichen Popstar auf Island. Die guten und erfolgreichen Sängerinnen driften immer mehr in Richtung Jazz, oder die Indie-Szene, ab. Wie z. B. Björk, Emilíana Torrini, oder Nanna Bryndís Hilmarsdóttir, Leadsängerin der Gruppe „Of Monsters And Men“. Das sind die großen Namen der isländischen Musikszene. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob es nicht doch Pop ist. Sie haben alle ihre eigene, individuelle Schiene. Aber María Ólafs ist der erste weibliche Popstar seit Birgitta Haukdal. Und das war 2001. Das sind 14 Jahre. Keine weibliche Sängerin hatte große Pophits seit damals. Mit Ausnahme vielleicht von Yohanna. Es gibt ein großes Popfestival im Westen Islands mit jährlich 15.000 Besuchern. 2014 sah das Line-Up folgendermaßen aus: es waren alles nur Männer, die dort aufgetreten sind. Auf der ganzen Liste gab es nur zwei weibliche Namen. Die eine hat am Bass gespielt, die andere Gitarre. Der Rest, 200 Männer auf der Bühne. Daher war der Sieg von María Ólafsdottir gut und wichtig. Ich denke, dass sie aufgrund ihrer Performance gewonnen hat.

Wäre das Lied von Friðrik Dór, „Once again“ nicht doch die bessere Wahl gewesen?

Ich denke, dass „Unbroken“ qualitativ nicht ganz so hochwertig ist, wie „Once again“ von Friðrik Dór. Sein Lied war kompositorisch besser und ausgereifter. Mit einem stärkeren Refrain als „Unbroken“. Als ich dieses Lied das erste Mal gehört habe, konnte ich nur gelangweilt mit den Schultern zucken. Es hatte keine große Wirkung auf mich. „Once again“ hatte mich jedoch sehr berührt. Der Text von Friðriks Song ist klar, einfach und strukturiert, bei „Unbroken“ muss man sehr genau zuhören. Es ist ein „Kampf der Worte“. Aber dennoch denke ich, dass María in Wien gut abschneiden wird. Durchschnittliche Lieder haben beim ESC oft sehr gut abgeschnitten. Wie etwa „Running scared“ aus Aserbaidschan, damals in Düsseldorf. Es ist mir bis zum heutigen Tag ein Rätsel, wie dieses Lied damals gewinnen konnte. Wahrscheinlich durch den Feuerregen, keine Ahnung. Und ich bin sicher, dass María ihre Sache großartig machen wird. Auch, wenn ich mich mit dem Lied nicht verbunden fühle. Andere Menschen werden vielleicht anders empfinden und für ihn voten

Danke für deine Zeit. Es war uns eine große Ehre dich kennen lernen zu dürfen. Dir weiterhin alles Gute!