Wie schwierig war es, bzw. ist es, nach einer Fußball-Weltmeisterschaft wieder in den normalen Spieler-Alltag hier beim SV Sandhausen zu kommen?

Das ist wirklich überhaupt kein Problem. Es ist "nur" Fußball. In beiden Fällen sind es elf Mann gegen elf Mann. Nur mit dem Unterschied, dass bei einer Fußball-Weltmeisterschaft die Stadien größer sind, als hier in der 2. Bundesliga in Deutschland. Ich kann mich nur wiederholen, es ist "nur" Fußball. Ich bin einfach glücklich wieder hier zu sein.

Bei der Rückkehr nach Island von der Weltmeisterschaft in Russland, wie haben euch die Menschen zu Hause empfangen? Überwog der Stolz, dass ihr dabei wart, oder die Enttäuschung, dass ihr nach der Vorrunde bereits ausgeschieden wart?

Ich muss sagen etwa 99% der Kommentare, die die Menschen an mich persönlich gerichtet haben, waren positiv. In erster Linie waren die Menschen stolz auf uns, dass wir uns für die WM überhaupt qualifiziert haben. Aber natürlich wollten wir alle weiterkommen. Und nicht nach der Vorrunde schon die Heimreise antreten müssen. Leider ist es anders gekommen. Dennoch, das Leben geht weiter. Und unsere Landsleute sind nach wie vor stolz auf uns. Denke ich.

Länder wie Brasilien und Argentinien setzten auf ihre Stars Neymar und Lionel Messi. Island agiert als Team, als Einheit. Was macht euch als Team so stark?

Island und Sandhausen sind sich auf gewisse Art und Weise ziemlich ähnlich. Auf Island wissen wir, dass wir nicht die besten Spieler der Welt in unseren Reihen haben. Und in Sandhausen wissen wir, dass hier nicht das Geld vorhanden ist, die besten Spieler der Welt zu kaufen. Also müssen wir nach anderen Möglichkeiten schauen, in denen wir am besten sind. Daher versuchen wir möglichst die beste Taktik zu haben, den besten Teamgeist. Und das eben hat uns sehr weit gebracht. Anstatt in jedem Punkt nur Durchschnitt zu sein, konzentrieren wir uns darauf in zwei bis drei Dingen die Besten zu sein. Und diese Taktik geht auf. Glücklicherweise funktioniert das bis jetzt sehr gut. Sowohl mit dem isländischen Team, als auch hier in Sandhausen.

Dein Nationalmannschaftskollege Birkir Bjarnason beispielsweise hat mich im Spiel gegen Kroatien unheimlich beeindruck. Neymar wird leicht touchiert, liegt danach am Boden und veranstaltet ein großes Schauspiel. Während Birkir eins auf die Nase bekommen hat, hat er sich nur einen Pfropfen in die Nase gesteckt und ist weiter um jeden Ball gerannt. Und als dieser blutgetränkt war, hat er sich den nächsten Pfropfen reingestopft um die Blutung zu stillen.

Ich möchte hier über niemanden schlecht reden oder auch niemanden persönlich angreifen. Das ist eben Teil unserer Kultur. Wir sind Kämpfer. Obwohl wir, im Durchschnitt gesehen, von der Körperstatur nicht sehr groß und kräftig sind, sind wir dennoch unheimlich stark.

Das hat mich unheimlich beeindruckt und tut es immer noch.

Vielen Dank.

Island wurde bei der Fußball Europameisterschaft 2016 in Frankreich durch den sogenannten "Viking-Clap" sehr berühmt. Wie heißt dieser auf Isländisch? Und kannst du das Gefühl beschreiben, wenn du als Teil einer so genialen Fußballmannschaft vor dem Publikum stehst und alle brüllen mit?

Auf Isländisch heißt das "Víkingur klapp". Es ist echt cool. Auch wenn es möglicherweise in den letzten beiden Jahren überbeansprucht wurde. Das war ein großer Hit während der Europameisterschaft vor zwei Jahren in Frankreich. Wir haben dieses Ritual beibehalten. Jetzt auch während der Weltmeisterschaft und in den Spielen der Qualifikation. Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, so langsam ist es an der Zeit etwas Neues auszuprobieren und zu finden. Viele andere Teams haben das mittlerweile übernommen und kopiert. Ich denke, wir sollten etwas experimentierfreudiger sein und auch ein wenig mehr mit dem "Víkingur klapp" improvisieren.

Während der WM bist du zu einem Star in den sozialen Medien aufgestiegen. Woran, glaubst du, liegt das? Und hast du mit so einer unglaublichen Resonanz gerechnet?

Nein, mit so einer Resonanz habe ich im Leben nicht gerechnet. Ich dachte mir zwar, dass ich ein paar Follower auf Twitter und Instagram gewinnen könnte. Aber das es solche Ausmaße annimmt hätte ich nie für möglich gehalten. Du spielst auf der größten Bühne der Welt. Viele Menschen über den Erdball verteilt wissen nicht einmal, dass du überhaupt existierst. Die eingefleischten Fans, besonders die der isländischen Nationalmannschaft, kennen mich natürlich. Aber dass es diese Dimension annimmt, das hat mich dann doch sehr überrascht. Es ist äußerst positiv. Sowohl für mich, als auch für die isländische Fußball-Nationalmannschaft. Ich mag es sehr und bin unheimlich glücklich damit.

Heimir Hallgrímsson ist kurz nach der Weltmeisterschaft als Nationaltrainer Islands zurückgetreten. Macht dich das traurig? Was waren, deiner Meinung nach, seine Gründe? Und was konnte er als Coach euch mit auf den Weg geben?

Er ist ein toller Typ und hat einen Wahnsinnsjob in dieser Zeit gemacht. Er hat die isländische Nationalmannschaft sieben Jahre lang begleitet. Heimir hat uns die Gründe genannt. Er sucht nach neuen Herausforderungen und schaut, ob er woanders als Trainer arbeiten kann. Wir respektieren seine Entscheidung. Nichtsdestotrotz bin ich sicher, dass wir uns als Team unter seiner Führung sicher noch weiterentwickelt hätten. Klar bin ich ein wenig traurig. Er ist ein großartiger Coach.

Was sind deine Ziele mit dem SV Sandhausen und der isländischen Nationalmannschaft?

Ich denke beide Teams haben ein enormes Verbesserungspotenzial. Das sind unsere Hauptziele. Stetig besser zu werden. Daran arbeiten, dass Sandhausen, in kleinen Schritten, ein größerer Club wird. Dass wir Fans gewinnen und die Menschen dazu bewegen zu uns ins Stadion zu kommen. Und was die isländische Nationalmannschaft angeht müssen wir so schnell wie möglich auf den Boden der Tatsachen zurückkommen. Anfang September stehen wichtige Spiele an. Dort benötigen wir gute Resultate, respektive Siege. Wir haben keine Zeit uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Das gilt, wie gesagt, für Sandhausen und für Island. Wir haben noch deutlich Luft nach oben. Und das sollte unser primäres Ziel sein.

Wie würdest du dich selbst beschreiben? Was macht den Charakter von Rúrik Gíslason aus?

Puuh, schwierige Frage. Es fällt mir unheimlich schwer über mich selbst zu sprechen. Besonders, wenn es um Komplimente geht. Ich weiß, wofür ich stehe. Als Person. Ich… fokussiere mich darauf höflich und freundlich zu sein. Ich versuche ein netter Kerl und ein Gentleman zu sein. Ich versuche meine Mitmenschen nett und mit Respekt zu behandeln. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Wie bereits erwähnt, es fällt mir unheimlich schwer über mich selbst zu reden und mir selbst Komplimente zu machen.

Isländisch ist eine Sprache, die nur sehr schwer zu erlernen ist. Fiel es dir leicht Deutsch zu lernen?

Ich denke zum jetzigen Zeitpunkt spreche ich zu 70% Deutsch. Mittlerweile bin ich seit drei Jahren in Deutschland. Es fiel mir schwerer, als ich es erwartet hatte. Das meiste funktioniert in der Zwischenzeit wirklich gut. Bei Interviews wie diesem (Anm. d. Red. Die Fragen werden auf Deutsch gestellt, Rúrik antwortet auf Englisch) denke ich, dass die Journalisten eine bessere Antwort auf ihre Frage erhalten, wenn ich auf Englisch mit ihnen spreche.

Dein Nationalmannschaftskollege Alfreð Finnbogason spielt ebenfalls in Deutschland, beim FC Augsburg. Wie versteht ihr euch? Habt ihr regelmäßig Kontakt zueinander?

Ja, er ist einer meiner besten Freunde. Er ist mit meiner Cousine zusammen, mit der ich zusammen im selben Haus aufgewachsen. Sie ist so etwas wie meine kleine Schwester. Alfreð und ich reden über alles Mögliche. Wie es eben gute Freunde miteinander tun. Mehrmals die Woche. Und wenn wir an den selben Tagen frei haben, versuchen wir uns, wann immer es geht, zu treffen. In Stuttgart, München oder Frankfurt. Wo es eben gerade am besten passt.

Sich in Deutschland als Fußballprofi als homosexuell zu outen ist nach wie vor ein Tabuthema und wäre vermutlich ein Karriere-Killer. Island ist, was die Rechte von Homosexuellen angeht, äußerst fortschrittlich. Gibt es auf der Insel Fußballer, die offen ihre Homosexualität leben?

Nicht, dass ich wüsste. Ich denke jeder sollte die Wahl haben und so leben, wie es ihn oder sie glücklich macht. Du hast absolut recht. Island ist in dieser Hinsicht wirklich sehr fortschrittlich. Du kannst es nicht ändern ob du homosexuell bist, du kannst es nicht ändern ob du hetero bist. Egal welchen Beruf du ausübst. Du solltest dich auf alle Fälle outen und dich nicht verstecken müssen. Wir haben 2018. Es verurteilt dich niemand dafür. Am allerwenigsten auf Island. Es schmerzt mich zu hören, dass jemand negativ reagieren könnte, wenn sich jemand outet. Besonders als Fußballer.

Beinahe jeder auf Island liebt den Eurovision Song Contest. Du auch?

(Lacht) Lasse es mich so ausdrücken. Der Eurovision Song Contest stört mich nicht, bzw. ich mache mir darüber keine Gedanken. Einer meiner Cousins, er ist schwul und lebt in Kopenhagen, ist ein riesiger ESC-Fan. Als ich in Kopenhagen lebte, und er mich während der Eurovisions-Woche besucht hat, hat er mich in die Lieder eingeführt. Ich denke, durch ihn mag ich den Eurovision Song Contest mehr als vorher. Auch, weil ich durch meinen Cousin einen besseren Einblick bekommen habe. Dennoch ist es nichts, was ich verfolge oder regelmäßig schaue.

Vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg mit Sandhausen und der isländischen Nationalmannschaft.